
Mit der Insolvenzampel Krisen einschätzen
Quelle: Imago, Urheber: Wavebreak Media Ltd
Quelle: Imago, Urheber: Wavebreak Media Ltd
Rund 400 Insolvenzen sind dieses Jahr im Entwickler- und Bauträgersektor zu verzeichnen. Im gesamten Baugewerbe registrierte der Restrukturierungsberater Falkensteg sogar noch mehr Pleiten. Es stellt sich die Frage, welche Warnsignale es gibt, wann für Unternehmen und deren Berater der richtige Zeitpunkt für einen Insolvenzantrag gekommen ist – und wie sie gegensteuern können.
Autorin: Monika Hillemacher
Große Projekte, aber kein Geld mehr. Spätestens dann ist bei Entwicklern Schicht im Schacht. Die Konsequenzen lassen sich an mehreren Beispielen beobachten. Sei es Signa oder Gerch – gerät eine Projektgesellschaft in finanzielle Schieflage, löst dies aufgrund der verschachtelten Konstrukte oft einen Dominoeffekt aus. Ein Projekt nach dem anderen kippt. Der Weg in die Insolvenz scheint unausweichlich. Die deutsche Insolvenzordnung (InsO) kennt drei Insolvenzgründe: drohende Zahlungsunfähigkeit, Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Die Definition, wann welcher Grund vorliegt oder nicht, ähnelt einer Ampel.
- Grün bedeutet, es ist genügend Geld vorhanden, um regelmäßig alle Verpflichtungen zu bedienen. Alles bestens.
- Gelb bedeutet drohende Zahlungsunfähigkeit. Diese Warnstufe ist erreicht, wenn der Blick auf die Finanzen offenbart, dass ein Unternehmen seine Zahlungsverpflichtungen zum Zeitpunkt der Fälligkeit voraussichtlich nicht erfüllen kann. Das gilt nicht sofort, sondern in die Zukunft gesehen. Der Prognosezeitraum beträgt 24 Monate (§ 18 InsO).
- Rot bedeutet Zahlungsunfähigkeit. Das Unternehmen kann seine Verbindlichkeiten, etwa die zum Monatsende fälligen Gehälter, nicht mehr bezahlen. Kann die Zahlungsunfähigkeit nicht innerhalb von drei Wochen behoben werden, ist der Insolvenzantrag zwingend (§ 17 InsO).
Rot kann auch die Insolvenzreife wegen Überschuldung signalisieren: Vereinfacht gesagt, die Verbindlichkeiten übersteigen das Vermögen der Gesellschaft. Eine Hintertür bewahrt noch vor dem sofortigen Insolvenzantrag: Ist die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich, weil für die nächsten zwölf Monate eine positive Fortbestehensprognose gestellt werden kann, führt Überschuldung nicht zur Insolvenzantragspflicht (§ 19 InsO).
Die Signale rechtzeitig erkennen
Die Unterscheidung zwischen drohend zahlungsunfähig, zahlungsunfähig und überschuldet bestimmt den Handlungsspielraum des Managements. „Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung verpflichten zur Insolvenzantragstellung“, unterstreicht der auf Insolvenzrecht spezialisierte Rechtsanwalt Rainer Schaaf. Er ist für die Nürnberger Kanzlei Theopark tätig. Im Fall drohender Zahlungsunfähigkeit kann die Geschäftsführung einen Insolvenzantrag stellen, muss es aber nicht. Das Recht dazu besteht, eine Pflicht jedoch nicht.

„Wir sehen momentan viele Geschäftsführer, die ihre Rechte kennen, aber nicht ihre Pflichten.“
Gesa Pantaleon gen. Stemberg, Kanzlei Pantaleon gen. Stemberg
Viele Manager scheuen den Schritt – mutmaßlich aus Angst vor einem Reputationsschaden oder aus Furcht, das Heft aus der Hand geben zu müssen. Manche verkennen die Signale. Letzteres hält Insolvenzrechtlerin Gesa Pantaleon gen. Stemberg, Partnerin in der gleichnamigen Anwaltskanzlei, für einen entscheidenden Punkt bei der Pleitewelle im Immobiliensektor. „Wir sehen momentan viele Geschäftsführer, die ihre Rechte kennen, aber nicht ihre Pflichten“, sagt die Vorständin des Expertinnen-Netzwerks Distressed Ladies – Women in Restructuring. Krisenfrüherkennung wie den prüfenden Blick aufs Konto – reicht es für die Gehälter? – hätten diese Akteure nicht unbedingt auf der Agenda.
Wer zu spät meldet, steht mit einem Bein hinter Gittern
Die InsO (§ 15a) schreibt vor, dass ein Insolvenzantrag „ohne schuldhaftes Verzögern“ zu stellen ist. Dieser muss spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit eingereicht werden. Bei Überschuldung haben Unternehmen sechs Wochen Zeit. Die längere Frist ist dem Umstand geschuldet, dass Überschuldung in der Regel schwieriger festzustellen ist als Zahlungsunfähigkeit.
Die Insolvenzantragstellung gehört grundsätzlich zu den Aufgaben des Managements. Wird der Antrag zu spät oder falsch gestellt, drohen eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft wegen Insolvenzverschleppung. Im Einzelfall können zudem zivilrechtliche Haftung bzw. Privatinsolvenz des Geschäftsführers im Raum stehen.
Weitsichtige Finanzplanung ist das A und O
Ähnliches beobachtet Rechtsanwalt Christian Wolf aus der Kanzlei Görg. Er sagt: „Viele Akteure kennen keine Krise und können jetzt nicht damit umgehen.“ Wolfs Arbeitsschwerpunkt liegt auf der Betreuung notleidender Immobilienprojekte. Angefangen hat er damit 2010. Damals hatte gerade die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers eine gigantische globale Kurskorrektur ausgelöst und auch die Immobilienbranche kräftig durchgerüttelt. „Plötzlich waren die Immobilien auf dem Papier weniger wert, obwohl sich am Asset nichts geändert hatte. Der Wert reichte nicht mehr, um die Darlehen zu decken“, erinnert sich Wolf.

Quelle: GÖRG, Urheber: Tim Kögler
„Viele Akteure kennen keine Krise und können jetzt nicht damit umgehen.“
Christian Wolf, Görg
Der deutsche Gesetzgeber sprang der Wirtschaft unter anderem mit einer Änderung der InsO bei, indem er die aktuelle Regelung der positiven Fortbestehensprognose beim Insolvenzgrund Überschuldung ins Gesetz aufnahm. Seitdem münden finanziell schwankende, aber durchfinanzierte Immobilienprojekte seltener in eine Insolvenz. Vorausgesetzt, die unternehmensinterne Früherkennung funktioniert. Wolf macht dies unter anderem am Vorhandensein einer rollierenden Finanzplanung fest.
Dass nicht jeder Marktteilnehmer diese laufende Aktualisierung im Fokus hatte oder hat und auf Entwicklungen entsprechend reagiert, gehört für Wolf zu den Kennzeichen der derzeitigen Krise. Hinzu kommt fehlende Krisenerfahrung. Die Branche erlebte in den vergangenen Jahren einen Boom; Schocks wie Lehman und die Folgen wurden verdrängt.
Der Planungshorizont beträgt 24 Monate
Jetzt reißen steigende Kreditzinsen bei gleichzeitig stockendem Abverkauf Finanzierungslücken. Kündigen Banken dann noch Kredite, können die Verbindlichkeiten nicht mehr bedient werden. „Wenn sich, wie 2022/23 geschehen, der Zinstrend umkehrt, dann sind bestimmte Gesellschaften nicht mehr zu retten“, beschreibt Wolf die bittere Konsequenz mangelnder Finanzübersicht.
Er hat den Eindruck, im Immobiliensektor sei eine Reihe von „Visionären“ unterwegs. Akteure, die nach wie vor glauben, unbesorgt viel aus ihren Projekten herausholen zu können, im Vertrauen darauf, es werde schon irgendwie gutgehen – im Zweifel mit Hilfe enger persönlicher Verflechtungen.
Das Fazit von Pantaleon gen. Stemberg und Wolf: Weil in der Branche bislang viel Geld verdient wurde, vernachlässigen Akteure die Liquiditätsplanung. Es fehle die Manövriermasse, um Zinssteigerungen und Marktkorrekturen aufzufangen. Tipp der Experten: Kalkulatorisch auf die eine oder andere Million Euro verzichten, aber flüssig bleiben.
Eine solide Liquiditätsplanung sollte stets mindestens die nächsten zwölf Monate umfassen. Die ersten drei Monate werden in der Regel auf Wochenbasis geplant. Optimal ist zwecks Krisenfrüherkennung ein Planungshorizont, der zwischen 13 und 24 Monate umspannt. Die realistische Bewertung der Assets ist fundamental. Auch daran haperte es nach Beobachtungen der Insolvenzexperten zuletzt.
Handwerkermangel als Insolvenzrisiko
Fachkräftemangel gehört zu den branchenspezifischen Insolvenzrisiken für Entwickler und Bauherren, weil Projekte stocken oder stillstehen, wenn ausführende Firmen fehlen. Die Finanzierung kann ins Wanken geraten. Die Verfügbarkeit der Ressource Handwerker sollte deshalb Teil der operativen Krisenfrüherkennung sein. Der Planungshorizont „Handwerkereinsatz“ sollte auf 24 Monate ausgelegt und vorsorglich immer mindestens eine Firma pro Gewerk im Back-up sein.
Wichtig: Ausführende Firmen können insolventen Entwicklern in der Regel den Vertrag kündigen, die Baustelle verlassen und damit die Schieflage noch verstärken.
Restrukturieren statt pleitegehen
Die finanzielle Langzeitprognose eröffnet die Chance zur Einleitung einer Restrukturierung, lange bevor wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gang zum Insolvenzgericht zwingend wird. So gewinnt das Management Zeit, um das Ruder herumzureißen: Mitarbeitern können Aufhebungsverträge angeboten und Mietverträge nachverhandelt oder gekündigt werden, um Kosten zu drücken. Auch die Trennung von Assets kann eingeleitet werden.
In dieser Phase kommen zur Unterstützung üblicherweise Unternehmensberater sowie auf Insolvenz- und Sanierungsrecht spezialisierte Rechtsanwälte an Bord. Steuerberater sind typischerweise ebenfalls involviert. Die Berater bringen meistens Teams mit immobilienspezifischem Know-how mit. Ziel ist die Erstellung eines tragfähigen Sanierungskonzepts. „Je früher das Management aktiv wird, desto besser sind die Erfolgsaussichten“, sagt Pantaleon gen. Stemberg.
Früh heißt aber auch, es muss noch genügend Geld vorhanden sein, um die Restrukturierung zu bezahlen. Im Immobiliensektor ist zu bedenken, dass das in Steinen gebundene Kapital sich oft nur mit langem Anlauf zu Geld machen lässt.
Investoren wollen überzeugt werden
Zeit wird insbesondere dann zur kritischen Größe, wenn ausländische Investoren im Projekt engagiert sind. Oftmals ist ihnen die deutsche Regulatorik fremd. „Die vorinsolvenzlichen Pflichten für die handelnden Organe sind in Deutschland oft strenger als im Ausland. Die hiesigen Vorgaben müssen wir Investoren, zum Beispiel aus den USA und Asien, erst sehr ausführlich erläutern, bevor sie Entscheidungen treffen“, berichtet Rechtsanwältin Sylwia Maria Bea-Pulverich aus ihrer Praxis. Sie ist Partnerin bei Norton Rose Fulbright und ebenfalls Mitglied im Vorstand der Distressed Ladies.

Quelle: Norton Rose Fulbright LLP, Urheberin: Dr. Sylwia Maria Bea-Pulverich
„Man darf ein totes Pferd nicht weiterreiten.“
Sylwia Maria Bea-Pulverich, Norton Rose Fulbright
Banken kennen in der Regel die Regulatorik von Restrukturierungsprozessen. Sie fordern aber zuerst Sanierungsgutachten ein, ehe sie frisches Geld zuschießen. Damit schützen die Institute sich selbst vor möglichen Haftungsansprüchen anderer Gläubiger, beispielsweise von Behörden, Mietern und Lieferanten, falls ein kriselnder Entwickler oder eine Baufirma nicht die Kurve kriegt. „Man darf ein totes Pferd nicht weiterreiten“, umschreibt Bea-Pulverich die Denke der Banken, die sich auf die Sanierungsrechtsprechung des BGH berufen können.
Das IDW-S6-Gutachten
IDW S6 ist ein Sanierungskonzept, mit dem die Überlebensfähigkeit in Not geratener Unternehmen objektiv beurteilt wird. Das Werkzeug kommt bei Unternehmen zum Einsatz, die auf der Kippe stehen, aber noch nicht pleite sind. Der Prüfstandard wurde vom Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) erstellt und berücksichtigt die BGH-Rechtsprechung. Im Kern geht es um die Beurteilung, ob reale Chancen auf eine nachhaltige wirtschaftliche Gesundung des Unternehmens bestehen. Die Analyse beleuchtet unter anderem die finanzielle Situation, die Marktsituation und Realisierbarkeit des Sanierungskonzepts.
Außerdem verlangen Banken, Investoren und/oder Gläubiger nicht selten die Bestellung eines Chief Restructuring Officer (CRO). Er begleitet die Umsetzung des Sanierungskonzepts nach IDW S6. Die Bestellung des CRO und die Erstellung des Gutachtens dauern erfahrungsgemäß etwa sechs Wochen. Dieser Zeitraum kann bei Immobilienprojekten je nach Komplexität der Unternehmensstruktur auch länger ausfallen. „Bei Immobilien gibt es häufig Diskussionen zum Umfang des IDW-Gutachtens“, sagt Bea-Pulverich. Ihrer Erfahrung nach passiert es so gut wie nie, dass ein beauftragtes Gutachten negativ ausfällt.
Es gibt fast immer einen Ausweg für die Sanierungsplanung. Sei es, dass neues Geld im Gegenzug für zusätzliche Sicherheiten fließt, oder sei es durch Abverkäufe – häufig allerdings mit Abschlägen, die der Entwicklung am Immobilienmarkt Rechnung tragen. Auch hier ist Zeit wieder ein zentraler Punkt, der über das Gelingen der Restrukturierungsstrategie und das Vermeiden einer Insolvenz entscheidet.
Reden ist Gold
Banken und andere Finanzierer sind die ersten Ansprechpartner in Krisensituationen. Ihnen sollten Entwickler und Baufirmen schnellstens mitteilen, dass Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind, rät Bea-Pulverich. „Kommunikation ist enorm wichtig, um für Transparenz zu sorgen“, sagt sie. Nach ihrer Erfahrung fehlt es dennoch häufig an frühzeitiger Kommunikation, was zu einem Vertrauensverlust auf Gläubigerseite führen kann. Das erschwert wiederum einen Moderationsprozess, der auf einen Interessenausgleich zielt, um die Pleite abzuwenden.
Vorausschauenden Managern bietet die Insolvenzordnung auch die Möglichkeit, Insolvenz in Eigenverwaltung anzumelden. Diese Lösung kann sowohl bei drohender Zahlungsunfähigkeit und faktischer Zahlungsunfähigkeit als auch bei Überschuldung infrage kommen. Im Unterschied zur Regelinsolvenz wird kein Insolvenzverwalter bestellt, sondern die Geschäftsführung arbeitet weiter. Das Gericht stellt ihr einen Sachwalter zur Seite, der die Sanierung beaufsichtigt. Er agiert in enger Abstimmung mit der Geschäftsführung und dem bestellten CRO.

„Es besteht zum Beispiel die Chance, aus großen Mietverträgen auszusteigen oder Personal zu reduzieren.“
Rainer Schaaf, Theopark
Gerade bei drohender Zahlungsunfähigkeit kann Insolvenz in Eigenverwaltung ein sinnvolles Tool zur Krisenbewältigung sein. „Es besteht zum Beispiel die Chance, aus großen Mietverträgen auszusteigen oder Personal zu reduzieren“, sagt Rainer Schaaf. Wie diese Karte gespielt wird, zeigen Einzelhandelsfilialisten. Einige von ihnen haben in jüngster Vergangenheit mehrfach Insolvenzen in eigener Regie durchlaufen mit dem Ergebnis: weniger Läden, weniger Mitarbeiter, insgesamt ein abgeschlossenes Filialnetz. Bedingung für eine erfolgreiche Insolvenz in Eigenregie ist, dass sie von langer Hand sorgfältig vorbereitet wird. Allein die Prüfung von Mietverträgen kann Monate in Anspruch nehmen.
Noch besser ist es natürlich, eine Insolvenz ganz zu vermeiden. Eine wertbeständige Planung, stetige Kontrolle der eigenen Liquidität, frühzeitiges Gegensteuern und transparente Kommunikation leisten dafür wertvolle Beiträge. „Eine Pleite macht nur dem Insolvenzverwalter Freude. Er verdient daran“, hält ein Insider fest.
Diesen Artikel teilen



